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ZEIT ONLINE: Warum Männer so gerne Sport gucken

Das Leben ist eine bunte Kiste!

ZEIT ONLINE: Warum Männer so gerne Sport gucken

Beitragvon Hübi » 02.08.2024, 11:13

Warum Männer so gerne Sport gucken

Egal was läuft, Hauptsache Sport! Die Gehirne von Männern reagieren besonders aktiv auf Sportübertragungen im TV. Da passieren Dinge, die man für längst überwunden hielt.
Von Lars Spannagel
Aktualisiert am 1. August 2024, 13:10 Uhr

Dieser Text erschien im Januar 2024. Wir zeigen ihn in diesem Sportsommer mit Fußball-EM und Olympia noch einmal, um für etwas Verständnis unter Paaren sorgen.

Sonntagabend, die Kinder sind im Bett, der Abwasch ist fertig, meine Frau muss noch am Laptop arbeiten und sitzt am Esstisch. Ich liege auf der Couch und surfe durch die Kanäle des Fernsehers. Tatort, Quizsendung, B-Promi-Quatsch, Netflix-Einerlei.

Da endlich, ein grüner Hoffnungsschimmer, Kunstrasen, Männer mit Helmen. Ein Ball.

Miami Dolphins gegen Buffalo Bills, American Football, ich lege die Fernbedienung zur Seite und die Füße auf den Couchtisch. Den Fernsehton lasse ich aus Rücksicht auf meine Frau aus. Und trotzdem breitet sich ein wohliges Gefühl in mir aus.

Als sich meine Frau eine Tasse Tee holt, spüre ich ihren skeptischen Blick. Football? Ernsthaft? Ich fühle mich nicht schuldig.

Als kleiner Junge habe ich mit meinem Vater und meinem Bruder bei der Vierschanzentournee gewettet, wer die Weite des nächsten Skispringers am besten schätzen kann. Als ich meine Abschlussarbeit an der Uni schrieb, quälten sich neben dem Schreibtisch Jan Ulrich und Lance Armstrong die Berge der Tour de France hoch. Heute kann es passieren, dass auf dem Fernseher Fußball läuft und ich gleichzeitig auf dem Tablet ein Basketballspiel verfolge.

Die Handball-Europameisterschaft in Deutschland hat gerade begonnen, 2024 steht auch die Heim-EM im Fußball an, es folgen die Olympischen Sommerspiele in Paris mit unzähligen Stunden TV-Sport (Tontaubenschießen! Kanuslalom! 3.000 Meter Hindernis!).

Doch jetzt, während Dolphins und Bills ineinanderkrachen und um jeden Meter Kunstrasen kämpfen und mich das irgendwie glücklich macht, frage ich mich: Warum fasziniert mich das alles, warum geht das nicht nur mir so? Laut ARD werden Sportübertragungen von deutlich mehr Männern als von Frauen eingeschaltet.

Wieso glotzen Männer Sport, egal was läuft?

These 1: Das Männergehirn möchte mitspielen
Anfang der Neunzigerjahre entdeckten Forscher an der Universität Parma bei Versuchen mit Affen eine seltsame Hirnaktivität: Wenn ein Versuchstier bei einem Artgenossen eine Tätigkeit beobachtete – zum Beispiel das Essen einer Erdnuss –, wurden bei ihm dieselben Hirnzellen aktiviert, als würde er selbst eine Erdnuss essen. Die Forscher tauften diese Zellen "Spiegelneuronen" und konnten sie später auch beim Menschen nachweisen.

Die wichtigste Erkenntnis: Das menschliche Gehirn simuliert Aktivitäten, die es bei anderen Menschen beobachtet – selbst, wenn diese nur auf dem Fernsehschirm zu sehen sind.

Wenn ich also im Fernsehen verfolge, wie Toni Kroos einen Freistoß tritt oder Malaika Mihambo sieben Meter weit springt, vermittelt mir mein Gehirn das Gefühl, selbst ein grandioses Tor zu schießen oder durch die Luft zu fliegen. Wenn jemand im Fernsehen jubelt, jubelt mein Gehirn mit. Die Grenze zwischen "sehen" und "tun" verschwimmt. Die New York Times schrieb über diesen Zusammenhang: "Millionen Fans, die ihren Lieblingssport im Fernsehen verfolgen, sind wegen der Aktivierung ihrer Spiegelneuronen süchtig danach."
Beim Konsum von Pornografie, heißt es im Artikel, laufe das ebenfalls so ab.

Darüber hinaus zeigten Forscher der Universität von Rom, dass Spiegelneuronen noch stärker reagieren, wenn man selbst Erfahrung mit der Sportart hat, die man anschaut. In diesem Fall würden motorische Nervenzellen zum Beispiel in der Hand messbar in Alarmbereitschaft versetzt. Folglich fühle ich mich persönlich noch stärker involviert, wenn ich Basketball, Tennis oder Fußball gucke, als beim Bobfahren oder Skispringen.

Weltweit betreiben immer noch deutlich mehr Männer organisiert Sport als Frauen – besonders in den Mannschaftssportarten mit Wettkampfcharakter. Und weil genau diese Sportarten vornehmlich im Fernsehen laufen, werden viele damit besser vertraute Männergehirne auf der Couch stärker stimuliert als Frauenhirne.

Amerikanische Hirnforscher glauben, dass dieses sensorische Erlebnis schwächer ist, wenn ein Reporter den Sport kommentiert, weil die permanente Analyse ablenkt. Insofern tauche ich sogar noch tiefer in das Footballspiel ein, weil ich den Ton ausgeschaltet habe.

Wenn ich auf der Couch liege und Sport schaue, fühle ich mich aktiv. Mein Gehirn denkt, ich würde mitspielen. Zumindest ein bisschen.

Männer lieben es, gemeinsam in eine Richtung zu starren
These 2: Die Evolution will es so
Ethnologen sind sich einig: Die Ursprünge des Sports liegen in der spielerischen (aber ernsthaften) Vorbereitung auf Jagd und Kampf. Unsere männlichen Vorfahren übten seit der Frühzeit werfen, laufen und springen, um Beute zu erlegen und sich auf kriegerische Auseinandersetzungen mit rivalisierenden Gruppen vorzubereiten. Jungen wurden früh in dieses Training eingebunden, um sie mit den notwendigen Fähigkeiten fürs Überleben auszustatten. Für Frauen war das traditionell weniger wichtig.

Der gemeinsame Sport bot für Männer zudem die Möglichkeit, die Stärke potenzieller Rivalen und Verbündeter zu testen oder verlässliche Partner für weibliche Familienangehörige zu finden – ohne das Risiko eines direkten Kampfes auf Leben und Tod.

Starke Verbündete – ein gutes Team sozusagen – erhöhten die Chance auf Nahrung, Sicherheit, Territorium und sexuelle Reproduktion. Das erklärt, warum sich Männer Teams anschließen oder sich als Fan als Teil einer erweiterten Mannschaft, eines Stammes, fühlen wollen.

Von Hertha BSC verspreche ich mir allerdings keinen dieser Vorteile, selbst wenn sie eines Tages wieder in die Bundesliga aufsteigen.

Der Evolutionsbiologe Michael P. Lombardo der Grand Valley State University in Michigan schreibt dem Sport eine weitere Funktion zu: Er sieht den Fußballplatz oder das Stadion als Balzplatz, auf dem die Männchen im Wettstreit miteinander um die Gunst der Weibchen werben – ein Verhalten, wie es zum Beispiel das nordamerikanische Präriehuhn zeigt. Dabei erscheint es Lombardo gar nicht unbedingt nötig, dass Weibchen zuschauen: Für die Männchen gehe es auch darum, von den stärksten und siegreichen Tieren zu lernen oder einen Kampf gegen ein überlegenes Männchen gar nicht erst anzustreben.

Wenn es nach Lombardo geht, gucke ich Sport also auch, um mich in eine Rangordnung einzustufen und zu überlegen: Könnte ich einen Linebacker der Miami Dolphins fertigmachen? Was kann ich mir von Roger Federer abgucken? Oder: Uiuiui, diesem Antonio Rüdiger sollte ich besser aus dem Weg gehen.

"So wie aktiver Sport Jungen den Raum gibt, zu Männern zu werden", schreibt der amerikanische Soziologe Douglas Hartmann, "dient das Anschauen von Sport Männern dazu, ihre Maskulinität zu verstärken, zu verbessern und zu erhalten." Deswegen würde es Männern – im Stadion oder vor dem Fernseher – vor allem um den Wettkampf und Resultate gehen, während das Sportinteresse von Frauen eher von sozialen Aspekten, wie gemeinsamer Zeit mit Freunden und Familie, getrieben wird.

Männer würden deshalb von Sieg oder Niederlage ihrer Lieblingsmannschaft oder ihres Lieblingsathleten deutlich stärker beeinflusst – und hätten mehr Freude daran, Sport allein zu verfolgen.

Laut Psychology Today gibt es auch einen Grund, warum Männer gern in Gruppen vor dem Fernseher sitzen. Frauen bevorzugen es, sich direkt ins Gesicht zu schauen, um mehr Informationen vom Gegenüber zu bekommen und eine stärkere soziale Beziehung aufzubauen. Männer würden es hingegen favorisieren, nebeneinander stehend oder sitzend in dieselbe Richtung zu schauen, direkter Augenkontakt könne stets als Herausforderung oder Konfrontation verstanden werden. Schulter an Schulter vor dem Fernseher zu sitzen, sei ein risikofreier Weg für Männer, Intimität und emotionale Nähe aufzubauen.

Formel 1 und "Tutti Frutti"
These 3: TV-Sport wird für Männer gemacht
Wie (und wie viel) Sport in Deutschland in den Medien konsumiert wird, hat eine Menge mit der Einführung des Privatfernsehens zu tun. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen spielte Sport laut Dr. Christoph Bertling, der am Institut für Kommunikations- und Medienforschung der Sporthochschule Köln lehrt, eine untergeordnete Rolle. Das änderte sich in den Achtzigerjahren grundlegend, als Sender wie RTL und Sat.1 entstanden. Sie setzten Sport strategisch ein, um nach US-amerikanischem Vorbild an die Zielgruppe der Männer zu kommen – aus Sicht von Marktforschern die Hauptverdiener und damit am relevantesten für Werbekunden.

"Nach diesem Gesichtspunkt wurden die Sportarten ausgesucht", sagt Bertling. "Das war eine Art Nebenprogramm von Tutti Frutti."

Um den Mann gezielt anzusprechen, wurde die Sportberichterstattung durch Analysen und Befragungen immer stärker auf ihn zugeschnitten, zum Beispiel bei der Formel 1. "Es wurde auf Dramatik gesetzt, auf Spektakel", sagt Bertling. "Man hat gemessen, dass es Männern gefällt, wenn man die Schnittfrequenz erhöht, um das Rennen im Fernsehen noch dramatischer zu machen."

Was Frauen an Sport interessierte, wurde gar nicht erst erhoben.

An dem Primat der Dramatik – und damit sozusagen dem male gaze auf Sport – hat sich seitdem nur wenig verändert. Laut Bertling haben wir uns daran gewöhnt, wie Sport präsentiert wird: "Wir haben sehr, sehr klare Muster im Kopf, wie Spannung entsteht. Kamerapositionen, Schnittfolgen. Gewohnheitseffekte."

Während das ARD-Programm im Durchschnitt von mehr Frauen (55 Prozent im Jahr 2022) als Männern gesehen wird, verändert sich dieses Verhältnis bei Sportsendungen komplett. Die vergangenen beiden großen Fußballturniere – die WM der Männer 2022 und die der Frauen 2023 – hatten im ARD-Publikum einen Männeranteil von 61 Prozent. Bei den Übertragungen der Tour de France 2023 (62 Prozent Männer) oder bei Sendungen der Fußball-Sportschau am Samstag (69 Prozent) war das Verhältnis noch eindeutiger.

Bei Großereignissen wie Fußballweltmeisterschaften, die in der Gesellschaft ein großes Thema sind, steigt mit dem Beginn der K.-o.-Runde der Frauenanteil sehr stark an. Andere Sportarten und Formate, beispielsweise die Formel 1, haben hingegen immer noch einen geringen Anteil an Zuschauerinnen. Das liegt auch daran, dass in den Sportredaktionen des Landes hauptsächlich Männer arbeiten – die sich mit ihrer Arbeit weiterhin hauptsächlich an Männer richten.

Um mehr Frauen für Sport im Fernsehen zu begeistern, glaubt Medienforscher Bertling, müsse es um die Frage gehen: "Wie könnte der Sport interessant sein für Gespräche, die über den reinen Wettkampf hinausgehen?" Die ARD versucht das bereits, auf Anfrage teilt der Rundfunkverbund mit, Frauen gezielt mit Sport-Dokumentationen in der Mediathek anzusprechen.

Kommunikationsforscher Christoph Bertling kann mir auch erklären, warum ich Sonntagabend beim Herumzappen an Football hängen bleibe: "Sie sind ein halbes Opfer der Content-Marketing-Strategie der NFL." Die amerikanische Football-Liga versuche, ihr Produkt in Deutschland möglichst breit zu streuen, so soll der Markt erobert werden.

Testosteron auf der Couch
These 4: Es macht Männer glücklich und verbindet sie miteinander
Aktivitäten, mit denen man das Dopaminlevel im Körper erhöhen kann: guter Schlaf, viel Bewegung, proteinreiche Ernährung, Verzicht auf Zucker und Kaffee, Sonne tanken, Sex.

Was auch hilft: auf der Couch sitzen und Sport gucken. Zumindest, wenn das eigene Team gewinnt.

Der Botenstoff Dopamin wird gern als Glückshormon bezeichnet, er hebt unsere Stimmung, beflügelt und motiviert. Weil sich das Gehirn nach einem Sieg der eigenen Mannschaft belohnt fühlt, ist es motiviert, jene Aktivitäten zu wiederholen, die zu der Dopaminausschüttung geführt haben.

2010 untersuchten Forscher das Testosteronlevel von spanischen Fußballfans – Männern und Frauen – während des WM-Endspiels Spanien gegen Niederlande (1:0 nach Verlängerung). Bei allen Fans stieg während der Partie der Testosteronspiegel an. Die männlichen Fans dürften daraus ein Gefühl von Überlegenheit und Dominanz gezogen haben. Für Frauen hat Testosteron keine vergleichbare Wirkung.

Das könnte auch eine Erklärung sein, warum es nach wichtigen sportlichen Erfolgen zu gewalttätigen Krawallen der Siegerfans kommt: Testosteron macht auch aggressiv, dafür muss man nicht einmal im Stadion gewesen sein.

Soziale Bestätigung hat nicht nur etwas mit Hormonen zu tun, sondern auch mit Interaktion. Ich kann morgens meinen Vater anrufen und "Hast du das Spiel gestern gesehen?" fragen (eine rhetorische Frage, er hat es immer gesehen). Ich kann in der Mittagspause mit Kollegen (sehr selten mit Kolleginnen) über Nagelsmanns Taktik diskutieren. Ein Bekannter erzählte mir neulich, ein Freund sei nach Kanada gezogen und müsse nun regelmäßig Eishockeyspiele gucken, andernfalls könne er im Büro nicht mitreden.

Der amerikanische Psychologe Richard Jackson Harris schreibt: "Nicht nur Sport zu treiben, sondern auch Sport im Fernsehen anzuschauen, ist zu einem Teil der männlichen Sozialisation geworden." In kaum einem anderen Bereich würden Männer sich in der Lage fühlen, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen, sich zu berühren oder zu umarmen.

These 5: Die Perfektion des Unwissens
Die Dolphins führen knapp gegen die Bills. Das Präriehuhn in mir vergleicht sich wahrscheinlich mit dem Quarterback, meine Spiegelneuronen feuern, mein Steinzeit-Ich scannt den Bildschirm auf der Suche nach einem möglichen Partner für meine Tochter.

Kurz vor dem Ende des Spiels tritt Miamis Kicker den Football aus Versehen gegen den Hintern seines Vordermanns, Buffalo jubelt, verliert am Ende aber trotzdem, die letzten Minuten der Partie sind ein einziges herrliches, perfektes Chaos. Als ich den Fernseher mit einem Grinsen im Gesicht ausschalte, denke ich an den berühmten Satz von Sepp Herberger: "Die Leute gehen zum Fußball, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht."

Die Männer gucken Sport, weil sie wissen wollen, wer gewinnt.
Liebe Grüße, Bild | Berlin-Marathon Jubilee Bild
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