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Laufen für Anfänger | ZEIT-ONLINE-Schwerpunkt "Laufen"

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Laufen für Anfänger | ZEIT-ONLINE-Schwerpunkt "Laufen"

Beitragvon Hübi » 20.07.2022, 07:24

Wie weit? Wie oft? Was müssen Anfänger beachten? Fast alles, was man übers Laufen wissen muss, erklärt der Sportmediziner und Marathonläufer Paul Schmidt-Hellinger.
Interview: Sebastian Horn


Paul Schmidt-Hellinger ist Arzt in der Abteilung Sportmedizin an der Charité in Berlin und Verbandsarzt beim Deutschen Leichtathletikverband. Er ist außerdem erfolgreicher Langstreckenläufer und stellte 2016 in 2:49:06 Stunden den aktuellen deutschen Rekord über 50 Kilometer auf. Dieses Interview mit ihm ist ein Teil des ZEIT-ONLINE-Schwerpunktes "Laufen – jetzt erst recht" aus den Ressorts Sport und Wissen.

ZEIT ONLINE: Herr Schmidt-Hellinger, wenn man mit dem Laufen anfangen möchte, was sollte man beachten?

Paul Schmidt-Hellinger: Es nicht zu übertreiben. Wenn man noch gar nicht gelaufen ist, ist das Schlimmste, sich Laufklamotten anzuziehen und sich eine Strecke auszusuchen, die vielleicht sieben Kilometer lang ist. Das ist schon viel zu viel.

ZEIT ONLINE: Also lieber ein oder zwei Kilometer.

Schmidt-Hellinger: Wenn man wirklich ein absoluter Anfänger ist, ist ein Kilometer erst mal genug. Es kann auch bedeuten, dass man auf einem Kilometer sieben, acht oder zehn Minuten unterwegs ist. Die große Gefahr als Anfänger ist, nach fünf, sechs Minuten euphorisch zu werden, ein Zustand, der auch "Flow" genannt wird. Dieses Wohlempfinden geht beim Laufen mit einer gewissen Schmerzminderung einher. Dabei merkt man nicht, ob die Muskeln und Sehnen schon überlastet sind. Und dann zieht und streikt vielleicht das Knie, wenn man fünf Kilometer in eine Richtung rennt und dann auch noch zurückmuss.

ZEIT ONLINE: Woran merkt man, welches das richtige Tempo ist?

Schmidt-Hellinger: Wenn man noch reden kann, aber nicht mehr singen. Das heißt, man sollte während des Laufes noch mit jemandem telefonieren können. In der Regel starten die Leute zu schnell. Nur die wenigsten machen ihre Dauerläufe zu langsam.

ZEIT ONLINE: Es heißt oft, dass selbst erfahrene Läufer zu schnell laufen.

Schmidt-Hellinger: Genau. Viel zu schnell. Schuld ist das Flow-Empfinden. Das kommt nicht beim langsamen Regenerationstempo, sondern an der anaeroben Schwelle, also wenn man so schnell läuft, dass die Muskulatur ein wenig im Sauerstoffmangel ist. Mit dem Flow und der einhergehenden Schmerzminderung werden wir aus Sicht der Evolutionsbiologie dafür belohnt, dass wir in diesem Tempo für längere Zeit in der Hitze einer Gazelle hinterherjagen können. Laufen wir zu langsam, rennt uns die Gazelle davon. Laufen wir zu schnell, übersäuern unsere Muskeln zu schnell.

ZEIT ONLINE: Wer den Flow spürt, ist also eigentlich zu schnell?

Schmidt-Hellinger: Ja. Dieses Flow-Tempo sollten wir nur beim Wettkampf laufen. Oder beim simulierten Wettkampf, also beim Tempodauerlauf. Ein gutes Training aber basiert auf einer guten Grundlagenausdauer und auf einem guten Muskelbandapparat, der an die Belastung gewöhnt ist.

ZEIT ONLINE: Warum ist die Grundlagenausdauer so wichtig?

Schmidt-Hellinger: Wenn wir nur Tempoläufe machen würden, kämen wir zwar schnell zu einer maximalen Ausdauerleistungsfähigkeit, aber wir bekämen auf dem Weg dorthin viel schneller Verletzungen. Das Herz-Kreislauf-System passt sich viel schneller an als der Muskelbandapparat. Und wir würden unser vegetatives Nervensystem überreizen, wir würden uns gestresst fühlen, weil wir im Training immer einem sehr starken Reiz ausgesetzt sind. Das würde zu den Erkrankungen führen, die wir mit dem Ausdauersport eigentlich vermeiden wollten. Solch einen Reiz vertragen wir nur alle 48 bis 72 Stunden, also maximal dreimal die Woche. Häufiger gehen wir nicht jagen, wenn man so möchte.

ZEIT ONLINE: Sollte man als Laufeinsteiger auf seine Pulswerte achten, um zu intensives Training zu vermeiden?

Schmidt-Hellinger: Ja, man rechnet "220 Herzschläge minus Lebensalter ist gleich maximale Herzfrequenz". Davon nimmt man 70 Prozent, um die obere Grenze des Grundlagenausdauerbereichs zu berechnen. Aber mit dieser Methode kann man eben auch falsch liegen. Je jünger jemand ist, je kleiner und je besser trainiert, desto höher ist die Belastungsherzfrequenz. Ein Großteil der Menschen würde mit der klassischen Faustregel richtig liegen. Aber die oberen und die unteren 20 Prozent, die Hochpulser und die Niedrigpulser, eben nicht. Die Hochpulser wären unterfordert. Denen würde man sagen: "Du bist zu schnell!", was gar nicht stimmen würde. Das Interessante ist: Das subjektive Belastungsempfinden kann ein genauerer Indikator für das richtige Tempo sein als die Herzfrequenz.

ZEIT ONLINE: Wie oft und wie lange sollte man laufen gehen?

Schmidt-Hellinger: Wenn Laufen der einzige Sport ist, den jemand ausübt, liegt die WHO-Gesundheitsempfehlung bei 150 bis 300 Minuten pro Woche Laufen im Grundlagenausdauerbereich. Wenn jemand wirklich läuft, um gesund zu bleiben, dann würde ich sagen: dreimal 45 Minuten pro Woche. Nach circa 20 Minuten beginnt die Fettverbrennung. Die meisten Menschen wollen ja ihr Gewicht halten oder sogar abnehmen. Um das zu erreichen, muss man mehr Kalorien verbrennen, als man mit zwei Stück Kuchen wieder aufholen kann. Dazu braucht man schon 45 Minuten Training am Stück.

ZEIT ONLINE: Gibt es nachgewiesene medizinische Probleme oder Schäden, wenn ich mehr laufe?

Schmidt-Hellinger: Wer sehr viel läuft und einen Achsfehler an seinen Gelenken hat, der kann eher eine Arthrose bekommen, als wenn er immer nur Radfahren würde. Allerdings würde er, wenn er gar nichts machen würde, noch eher eine Arthrose bekommen. Wenn jemand das Training zu schnell steigert, kann es außerdem sein, dass er chronische Sehnenreizungen bekommt. Und wenn jemand bereits im Jugendalter sehr, sehr viel Sport macht und Marathon läuft wie ich, dann kann es sein, dass er ein Sportherz entwickelt – eine Vergrößerung der vier Herzkammern. Durch die größeren Vorhöfe hat ein Athlet mit Sportherz im Alter eine höhere Wahrscheinlichkeit für Vorhofflimmern als jemand, der nur Gesundheitssport macht. Aber auch hier gilt: Menschen, die gar keinen Sport machen, haben ebenso ein erhöhtes Risiko für Vorhofflimmern.

ZEIT ONLINE: Wie viele Kilometer sind also zu viel?

Schmidt-Hellinger: Ab 50 Kilometern pro Woche gehen die Verletzungsraten steil bergauf. Ab 100 nimmt auch die Libido ab, man ist einfach müde. Es kommt aber auch darauf an, von welchem Niveau man kommt. Wer sonst 200 Kilometer in der Woche abspult, für den fühlen sich 80 okay an.

ZEIT ONLINE: Welche Ausrüstung brauche ich als Laufeinsteiger?

Schmidt-Hellinger: Die richtigen Schuhe sind wichtig. Die ersten zehn Minuten sind auch noch die alten Handballschuhe in Ordnung. Aber sobald man mehr laufen möchte, sollte man sich mindestens ein Paar Laufschuhe besorgen. Am besten zwei Paar, wenn man langfristig plant. Das hat auch etwas mit Psychologie zu tun und kann motivieren: Wenn man mehr ausgibt, fühlt man sich eher gezwungen, das Training über längere Zeit durchzuziehen. Das eine Paar Schuhe sollte rund 800 Kilometer halten und die zwei zusammen 1.600 Kilometer. Somit wären die nächsten drei Jahre abgesichert.

ZEIT ONLINE: Welche Laufschuhe sollte ich mir kaufen?

Schmidt-Hellinger: Wenn man Schuhe kauft, gibt es keinen Unterschied, ob man einen sogenannten Neutral-Schuh, einen Stabilitäts-Schuh oder einen Flexibility-Schuh kauft. Es gibt nur eine Hauptregel: Man muss reinschlüpfen und sich komplett wohlfühlen. Sobald es irgendwo zwickt, ob hinten an der Ferse, außen, oder vorne an den Zehen – dann sollte man den Schuh nicht kaufen. Egal, ob der gerade im Angebot ist oder man ihn geschenkt bekommen hat. Mein individueller Fuß muss genau reinpassen.

ZEIT ONLINE: Kann ich mir meine Laufschuhe im Internet bestellen?

Schmidt-Hellinger: Beim ersten Paar Laufschuhe sollte einmal ein Laufschuhverkäufer draufschauen, der erkennt, ob man komplett schief in seinen Schuhen steht. Vielleicht hat man einen Achsfehler und braucht sogar Einlagen, bevor man mit dem Laufen als Hauptsportart beginnt. Wenn man aber einmal sein Modell hat und ohne Verletzung durch eine Saison durchgekommen ist, dann kann man davon noch zwei, drei im Internet nachkaufen und horten.

ZEIT ONLINE: Was brauche ich noch?

Schmidt-Hellinger: Am Anfang reicht die alte Jogginghose. Sollte die zu sehr schlabbern oder reiben, wenn man länger unterwegs ist, dann macht es Sinn, sich richtige Laufkleidung zu kaufen. Ich habe früher meine Läufe mitunter in Badehose am Strand gemacht.

ZEIT ONLINE: Wie viel Geld sollte ich für die Laufkleidung ausgeben? Genügt die Laufkollektion aus dem Supermarkt?

Schmidt-Hellinger: Beim Laufen ist es wie mit jedem anderen Konsum: Genauso wie man in eine Lederausstattung im Auto investieren kann, kann man sein Geld für teure Sportkleidung ausgeben, wenn man das für sein Wohlbefinden braucht. Es kommt darauf an, wie viel Konsum man sich finanziell und ökologisch leisten möchte.

ZEIT ONLINE: Brauche ich eine Pulsuhr, also eine Sportuhr, die beim Laufen meine Herzfrequenz misst?

Schmidt-Hellinger: Wer eine Leistungsdiagnostik gemacht hat, bei der die individuellen Belastungsgrenzen genau untersucht wurden, der kann mit einer Laufuhr seine Herzfrequenz während des Laufens verfolgen und sein Tempo danach ausrichten. Hier ist aber immer noch die Messung mit einem Brustgurt die genauere Methode. Pulsmessungen am Handgelenk haben insbesondere bei behaarten Handgelenken hohe Fehlerquoten. Außerdem können manche Brustgurte mit Bewegungssensoren gut die Schrittfrequenz aufzeichnen. Die meisten Läufer, die heute ohnehin mit dem Handy unterwegs sind, brauchen aber zusätzlich nicht unbedingt eine Pulsuhr mit Brustgurt. Wer seine Trainingseinheiten etwas genauer nachvollziehen möchte, für den ist eine Tracking-App sinnvoll, die man auf sein Handy lädt.

ZEIT ONLINE: Wozu dient eine Tracking-App?

Schmidt-Hellinger: In den Apps können wir unsere Trainingseinheiten hochladen. Sie geben uns Feedback nach klassischen Trainingsprinzipien: Sie sagen einem, ob man zu oft und zu schnell läuft oder über die Weihnachtszeit vielleicht nachgelassen hat. Wenn wir unser Training verdoppeln, sagen einem die Apps mittlerweile: "Du hast zu viel gemacht in der letzten Zeit!" Außerdem befriedigen wir mit den Apps auch unser narzisstisches Selbst: Wir können Fotos zu unseren Trainingseinheiten hochladen und sie auf Social-Media-Plattformen teilen.

ZEIT ONLINE: Das Thema Motivation ist generell wichtig für Leute, die mit dem Laufen anfangen. Viele brechen nach ein paar Wochen wieder ab. Wissen Sie, was dagegen hilft?

Schmidt-Hellinger: Wenn die Corona-Krise vorbei ist und wir wieder andere Leute treffen können, sollte man sich einen Kompagnon suchen, einen Laufbuddy, eine Laufgruppe oder einen Laufkurs. Der Laufpartner sollte möglichst ähnlich gut sein – er darf nicht zu schnell sein.

ZEIT ONLINE: Sollte man sich für offizielle Läufe anmelden?

Schmidt-Hellinger: Ja, ein Lauf über fünf Kilometer ist in einem klassischen Zwölfwochenplan für jeden, der nicht gerade 50 Kilogramm zu viel wiegt, auch zu schaffen. Wenn man so einen Lauf gemacht hat, dann wäre das Nächste einer mit zehn Kilometern. Und wenn man den Zehnkilometerlauf gemacht hat, dann kann man ein Jahr später den Halbmarathon versuchen. Und wenn man möchte, kann man sich ein, zwei Jahre später an den Marathon wagen. Das ist aber nicht unbedingt gesünder und es ist auch nicht für jeden was.

ZEIT ONLINE: Es heißt auch immer wieder, Laufen machen glücklich und wirke antidepressiv.

Schmidt-Hellinger: Das stimmt. Zuletzt hat eine Heidelberger Forschungsgruppe Folgendes an Mäusen getestet: Die eine Gruppe Mäuse kam aufs Laufband und die zweite nicht. Anschließend wurden die Tiere auf eine heiße Platte gesetzt. Es wurde gemessen, wie lange es dauert, bis sie von der Platte runtergehen – wie hoch also ihre Schmerzschwelle ist. Außerdem wurde ihre Ängstlichkeit gemessen. Jene Mäuse, die zuvor auf dem Laufband waren, hatten eine höhere Schmerzschwelle und weniger Angst. Dann hat man verschiedene Rezeptoren der Mäuse, die auf dem Laufband waren, gehemmt – die Opioidrezeptoren, die Endorphinrezeptoren und die Endocannabinoidrezeptoren. Als die Wissenschaftler die Cannabinoidrezeptoren hemmten, setzte die angstmindernde und schmerzmindernde Wirkung des Lauftrainings aus. Wurden die Opioidrezeptoren und Endorphinrezeptoren gehemmt, war das runner's high der Mäuse hingegen noch immer da: Sie blieben weiterhin auf der heißen Platte und hatten weniger Angst. Die aktuelle Theorie des runner's high besagt also, dass Cannabinoide diesen glücklich machenden Zustand auslösen. Laufen wirkt wie eine gute Droge, wenn man so will.

ZEIT ONLINE: Gibt es weitere positive Effekte auf die Psyche?

Schmidt-Hellinger: Laufen kann auch eine Antriebssteigerung auslösen, das ist aber immer eine Frage der Dosis: Eine Studie mit Menschen mit ADHS hat untersucht, welche Auswirkungen verschiedene Belastungen haben: kein Sport, 20 Minuten oder 40 Minuten Training im Grundlagenausdauerbereich. Dann wurde die Motivation für intellektuell anstrengende Aufgaben getestet. Bei null Minuten gab es keine große Motivation. Bei 20 Minuten gab es die größte Motivation und bei 40 Minuten schon wieder weniger. Der antriebssteigernde Effekt ist bei 20 Minuten also optimal. Wenn ein Manager mich fragt, wie lange er laufen soll, dann sage ich immer: "Es kommt darauf an, was Sie heute noch machen wollen. Wenn Sie noch lange auf Tabellen schauen und etwas prüfen wollen, dann lieber nur eine kurze 20-Minuten-Einheit. Wenn Sie richtig gedämpft sein wollen, sodass Sie nichts mehr stressen kann, dann lieber länger: 40, 50, vielleicht 60 Minuten."

ZEIT ONLINE: Warum ist Laufen noch gesund?

Schmidt-Hellinger: Unsere Leistungsfähigkeit nimmt mit dem Alter linear ab. Diesen Abfall können wir mit einem schlechten Lebensstil noch steiler machen. Mit dem Laufen können wir ihn zwar nicht flacher machen, aber insgesamt das Niveau erhöhen. Das heißt, es geht bergab, aber von einer höheren Stufe. Man hat sein ganzes Leben einen höheren Fitnesslevel, was in den letzten zehn Lebensjahren weniger Pflegebedürftigkeit bedeutet. Laufen kann auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen stark minimieren. Läufer kriegen später, seltener und weniger schwere Herzinfarkte und Schlaganfälle. Wenn man Laufen gesundheitssportlich betreibt, kriegt man wahrscheinlich auch später, seltener und weniger schlimme Krebserkrankungen. Wahrscheinlich kriegen wir auch später, seltener und weniger schwere Depressionen. Aber das Wichtigste ist eigentlich, dass wir uns sofort glücklich fühlen, wenn wir Laufen im richtigen Maß betreiben. Wir können sofort motivierter in den Tag gehen, schaffen mehr. Es macht uns nach 20 Minuten motivierter, energiegeladener und gesünder.

ZEIT ONLINE: Sollte man trotz Erkältung laufen gehen?

Schmidt-Hellinger: Wer erkältet ist und sich trotzdem bewegen will, kann sich zu Hause auf den Ergometer setzen. Ein Dampfbad machen hilft, dreimal ein halbes Gramm Vitamin C am Tag, für fünf Tage, und ein bis zwei Zinkkapseln am Tag. Viel Obst und Gemüse essen. Das durchschnittliche Lauftraining auf ein Drittel reduzieren und mit 60 bis 70 Prozent der sonstigen entspannten Intensität trainieren. Und auch nur, wenn die Beschwerden kein Krankheitsgefühl sind und es keine Anzeichen für etwas Bakterielles gibt. Ein wenig trainieren, um sich nicht unausgeglichen zu fühlen, ist okay. Wer nämlich regelmäßig läuft und fünf Tage lang nichts macht, kann ein Belastungsentzugssyndrom bekommen. Der Körper schüttet Stresshormone aus und könnte das Immunsystem noch mehr schwächen.

ZEIT ONLINE: Ein Laufentzug?

Schmidt-Hellinger: Ja, Exercise withdrawal. Dazu habe ich bereits geforscht. Wir haben Menschen, die drei Mal die Woche Sport machen, den Sport verboten und ihnen dann über den Speichel Cortisol abgenommen. Ihre Werte waren deutlich erhöht und sie kamen weniger gut mit kritischen Situationen klar. Wir haben Psychointerviews mit ihnen gemacht und sie beschuldigt, sie hätten ein Portemonnaie gestohlen, oder ihnen gesagt, dass ihnen gekündigt wurde. Menschen, die vorher regelmäßig trainiert haben und dann nicht mehr, haben gestresster auf solche Situationen reagiert.

ZEIT ONLINE: Das bedeutet, wenn man einmal im regelmäßigen Training ist, dann ist es auch gar nicht so leicht, da wieder rauszukommen?

Schmidt-Hellinger: Es kann bis zur Sportsucht gehen. Wir haben ein Grundbedürfnis für körperliche Belastung. Wenn dieses Bedürfnis nicht erfüllt wird, dann ist es das gleiche, als wären wir durstig oder hungrig, oder als hätten wir Libido, aber keinen Geschlechtsverkehr. Der Durchschnittsmensch, der gar keinen Sport macht, hat sich dieses Grundbedürfnis abgewöhnt.
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