Der Insulaner (75 m)Wer kennt ihn nicht, den Schuttberg gleich dem Teufelsberg in Berlin? Eine Hinterlassenschaft aus Trümmern, die nur noch wenige Zeitgenossen in der Realität, also im Werden, kennengelernt haben. Ich bin nicht unbedingt stolz darauf, diesen Zustand aus eigenem Erleben vor Augen gehabt zu haben. Nur zur Erinnerung oder Kenntnisvermittlung:
• Drachen- und Teufelsberg im Grunewald, 99 bzw. 120 m, (höchster „Berg“ von Berlin, auf dem schon
einmal ein Ski-Weltcup-Rennen stattgefunden hat)
• Dörferblick in Rudow, 86 m
• Humboldthöhe mit Bunker Gesundbrunnen/Wedding, 85 m
• Biesdorfer Höhe, 75 m
• Rixdorfer Höhe Neukölln/Kreuzberg, 70 m
• Friedrichsfelder Trümmerberg, 67 m
• Gr. und kl. Bunkerberg Friedrichshain, 78/ 48 m
• Oderbruchkippe Volkspark Prenzl. Berg, 99 m
• Marienhöhe in Tempelhof, 73 m
• Neuer Hahneberg in Spandau, 87 m, der echte „Berg“ mit dem Fort ist nur 67 m hoch
• Arkenberge in Blankenfelde/Pankow (erst 1984 Bauschuttaufschüttung). 122 m
• Kienberg in Marzahn, ursprüngl. Natur 58,3 m (1966), abgeschlossene Aufschüttung 1981 auf 102,2 m
(Bodenaushub aus Bautätigkeit, Müll, Schutt – auch Kippe genannt), heute Teil Gärten der Welt, ehemal.
Bundesgartenschau 2017. Hier nur als Ergänzung, weil kein eigentlicher Trümmerberg
Der Insulaner, gemeint ist der West-Berliner auf seiner abgeschlossenen Insel, umgeben von Ost-Berlin und dem DDR-Gebiet. Das Wort „Zone“ lehne ich ab. Namensgeber ist ein alter kabarettistischer Song von Günter Neumann „Der Insulaner verliert die Ruhe nicht…“, ob der Querelen durch die DDR-Organe. Insofern ist der künstlichen Erhebung am Südrand des Bezirks Schöneberg (gleich nebenan beginnt der OT Steglitz) nicht nur ein Name, sondern auch eine Ehrung für die ansässigen und ausharrenden West-Berliner zuteil geworden.
Wer mir jetzt Tiraden vorwirft, ppfft, will von Teil-Geschichten Berlins eben nichts wissen.
Nun endlich zum Thema:
Laufen auf bekanntem und zugleich noch niemals gelaufenem Terrain. Das kann wohl nur donnerstags Vormittag stattfinden. Jawohl, bestätige ich. Heute nun ab zum
Insulaner. Damit wir uns nicht verlaufen, ist der Uferweg am Teltow-Kanal genau die richtige Adresse. Start in Höhe der Königsberger Str., dann direkt zum Wasser bis zum Schlosspark Lichterfelde, unter dem Helikopter-Landeplatz des Rettungsdienstes des Benjamin-Franklin-Klinikums hindurch, jetzt auch Teil der Charitè, eine Biege im Stadtpark Steglitz, ehe wir der Bismarckstr. rechtsseitig folgten. Nicht lange, denn gleich durchliefen wir adagio, also langsam, durch den Friedhof Bergstr., mit dem wohl schönsten Ziegelstein-Wasserturm, den ich kenne. Ein Hingucker, der die Friedhofsruhe ebenso wenig stört wie zart durchlaufende Lauffreund*innen. Im Übrigen wird der Turm, um den sich zahlreiche schildbürgerliche Vorkommnisse seit 1916 ranken, heute ganz anders genutzt, weil er nur kurzzeitig als wirklicher W-Turm diente. Seit 1996 nach respektierlicher und denkmalgerechter Restauration als baurechtliches Hochhaus eingeschätzt, darf er nun teilweise als Großraumbüro für 16 Personen (Pharma-Industrie) genutzt werden. In aller Stille.
Wir wollen weiter. Rüber zum
Insulaner, unseren Bezugspunkt. Na, endlich. Den ausführlich zu beschreiben lasse ich einmal. Stichworte: Typischer Trümmerberg (1951), Freizeitgelände mit Schwimmbad, Rodelbahn, Wilhelm-Foerster-Sternwarte und Planetarium (1963). Einfach toll. Nicht genug davon, trotzdem weiter.
Kehrt man „aus Bergeshöhe“ zurück, dem Verkehrsstrom ins Auge schauend, Prellerweg. Ampelgesteuert drüber am gleichnamigen S-Bhf. Und gleich rein in die nächste landschaftliche Attraktion. Das Südgelände Naturpark Schöneberg. Ein ausgedientes, verlassenes Bahnbetriebswerk mit Teilen des ehemaligen Rangierbahnhofs Tempelhofs. Statt wie vielfach, alles zu entrümpeln oder neudeutsch zu entwickeln/to develop, passierte hier, oh Wunder, gar nichts. Die Natur griff zu und verwandelte die ehemalige Gleislandschaft, die noch vorhanden ist, mit Birkenbewuchs, Grünflächen ohne jegliches Zutun, Blumen, Pflanzen, Unkräutern („traue keinem Garten ohne Unkräuter“!) und natürlich, momentan unsichtbar, auch heimische Fauna. Die so dringend benötigte Artenvielfalt bekommt hier Unterstützung. Mitten drin eine uralte Dampflock größeren Ausmaßes, ein Skulpturengarten mit interessanten Schweißarbeiten.
Bei fortschreitendem Tempo nahmen wir das weit ausladende Gelände auf einem landschaftlich großartig gestalteten und auf Stelzen befindlichen Gitterflächenweg in Angriff. Es war ein Genuss. Der freiwillige „Eintritt“ (1 € sollte der Gast spenden; Dagmar tat`s; wir stehen alle in ihrer pekuniären Schuld, nicht vergessen!). Nun ging es zurück, schließlich waren schon fast 9 km geschafft. Wir querten die S- und Fernbahn-Trasse über eine eigens für das ehemalige Industrie- und jetzige Naturgelände gebaute Brücke und hatten freie Sicht über eines der wenigen großen Gebiete von noch bestehenden Gartenkolonien, eingerahmt vom Bahngelände, des Riemenschneiderwegs bis hin zur Stadtautobahn.
Und weil es so schön war über den
Insulaner zu laufen, nahmen wir nochmals den Anstieg in Kauf. Und wo es in Berlin in die „Höhe“ geht, geht es ebenso wieder abwärts. So nahmen wir die Außenfront des schon beschriebenen Friedhofs als willkommene Alternative zum viel befahrenen Munsterdamm, bogen in eine schnucklige kleine Kolonie mit zahlreichen Windungen ein und landeten alsbald Rücktour mäßig beim Teltowkanal an. Die ansässigen Kraftwerke, Industriehallen und andere Firmensitze müssen heute wohl andere Logistikunternehmen beschäftigen, weil die ehemals florierende Binnenschifffahrt auf dem Kanal heute so gut wie nicht mehr sichtbar ist. Es ändert sich vieles, nicht immer zum Guten.
Wir jedoch hatten für uns rein Gutes getan, nämlich 15,3 km im richtigen Laufschritttempo zurückzulegen, aber oft genug mit genüsslichen Unterbrechungen. Der krönende Abschluss eines gelungenen Trainingstages darf nicht verschwiegen werden: Apfelkuchen self made by Rainer, Panettone, die „Schmatzetta“ di Milano, so nenne ich mein Lieblingsweihnachts- und Osterkuchen (6 Wochen haltbar!) von Daggi und dann noch Orangenschokolade von Marion plus Marion8. Ich durfte nicht einmal abwaschen. So kann es unterdrückten Hausmännern gehen.
Dennoch war der heutige Tag Belohnung pur.
Horst
P.S. Wem das zu viel ist, bitte kein Mitleid. Ich leide
nicht unter einer Schreib-Manie. Es muss einfach raus, worüber ich mich freue, ärgere, wundere.
Zuletzt geändert von Hotti am 22.01.2022, 22:32, insgesamt 1-mal geändert.