Die (un)sterblichen Götter
Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber für mich sind manche Nachrichten von heute, morgen nicht unbedingt von gestern. Zugegeben, ich bin eher den Printmedien zugetan, als mich ausschließlich IT-mäßig zu beschäftigen. Schon gar nicht gehöre ich zu denen, die permanent am Googeln sind, wie sich sprachlich heutzutage geäußert wird, wenn das Informationsbedürfnis besonders drängt, insbesondere dann, wenn die tägliche Presse infolge des sehr frühen Redaktionsschlusses nicht immer brandaktuell sein kann.
So gefestigt, ist es natürlich äußerst schwer, sich fokussiert und willensstark dem einmal bewusst gefassten Beschluss zu entziehen, der mich erfasste, als ich von einer Schreckensnachricht aus Wien erfuhr, die wahrscheinlich erst morgen früh im nördlicher gelegenen Berlin angelangt sein dürfte. Die dortige Wiener Presse (Sport ORF.at) berichtete nämlich bereits heute von einem tragischen Ereignis, das sich am 11.02.2024 (also gestern) in Kenia zugetragen hat. Der erst 24 Jahre Stern am Marathon-Himmel namens Kelvin Kiptum, der im Oktober letzten Jahres den Weltrekord in der Königsdisziplin Marathon mit kaum möglichen 2:00:35 in Chicago dokumentierte und damit den bisherigen Berliner Statthalter Eliud Kipchoge (2:01:09) um 34 Sekunden unterbot, ist tragischerweise bei einem Auto-Unfall ums Leben gekommen und mit ihm sein Trainer aus Ruanda namens Hakizimana.
Der erst kürzlich eingefahrene Ruhm dauerte leider nicht lange an und es ist spekulativ zu sagen, was von dem jungen Mann noch zu erwarten gewesen wäre, denn die Welt giert ja förmlich darauf, dass die schon einmal von Kipchoge unterbotene Zeit von 2 Stunden endlich in einem regulärem Rennen und nicht wie in Wien als inoffizieller Marathon bei vorgegebenen „Laborbedingungen“ erreicht wird. Kiptum schien dafür geeicht zu sein, denn er debütierte 2022 in Valencia/Spanien mit 2:01:53. Bei seinem zweiten Rennen im April 2023 gewann er den London-Marathon in 2:01:25, dem folgte am 08. Oktober 2023 in Chicago die bestehende Fabelzeit, die, so glaube ich, noch längere Zeit Bestand haben wird. Wunderläufer, wie eben Kelvin Kiptum, wachsen nicht so schnell nach wie Keimlinge.
Wie leidvoll, bedauerlich, wie schade um diesen jungen Menschen, der zu allen Hoffnungen Anlass gegeben hat. Vielleicht wäre er heuer im Jubiläumsjahr in Berlin am Start gewesen und wer weiß, was auf dieser bei allen Leistungsläufern bekannt schnellen Rennstrecke möglich gewesen wäre. Ein Trauerflor, um diesen wahrlich einmaligen Sprint-Marathonläufer zu ehren, wäre im September in Berlin durchaus angemessen.
Wie alle anderen jemals Weltrekord gelaufenen Langstrecken-Asse gehören sie zu den Unerreichten ihrer Zeit. In der Antike wäre das göttergleich gewesen. Zu einem derartigen Glaubensbekenntnis sollten wir uns nicht hinreißen lassen. Es gibt genug andere Notwendigkeiten. Aber Respekt und Erinnerung müssen deshalb nicht verglühen, daher behalten außergewöhnlich zugetragene Begebenheiten ihren Platz in der Geschichte.
Horst