Re: Hotti
von Hotti » 26.09.2022, 16:26
Kein Tag wie jeder andere Berlin-Marathon 2022
Dabei ist der Herbst schon gekommen, die Sonne nicht mehr so brennend und eigentlich könnten auch superaktive Menschen einen Gang zurückschalten. Und doch geschehen oft Dinge, die weder vorhersehbar, planbar oder ungeahnt sind. Es begann an diesem End-Sonntag im September zuerst mit dem Blick aufs Wetter. Es war, als hätte jemand eine Extra-Spende an die Wetterküche gegeben, ohne gleich an Bestechung zu denken, denn Wetterfreuden bringen für alle etwas und nicht etwa nur für faulenzend den Liegestuhl Belastende. Ganz das Gegenteilige trat ein. Es war Marathon-Tag in Berlin. Zum 48. Mal in 49 Jahren.
Ganz klein fing es 1974 an. Der Stadt-Marathon lag noch in weiter Ferne und er wurde, fast beschaulich, mit einer mittleren dreistelligen Anzahl von Teilnehmer: innen am Charlottenburger Mommsen-Stadion gestartet, führte zum Strandbad Wannsee und wieder zurück, das Ganze zweimal = 42,195 km. Dem Vorbild New Yorks folgend, gab es 1981 die Premiere auf dem Rasen vor dem damaligen Reichs-/heute Bundestag. Zielschluss Kurfürstendamm. Bis zur Deutschen Wiedervereinigung 1989 gab es gelegentliche Streckenveränderungen, weil der Zuspruch für diesen interessanten Wettbewerb von Jahr zu Jahr anwuchs und zunächst das Gebiet Ost-Berlins nicht berührte. Schlagartig änderte sich die Situation, als die Mauer fiel und plötzlich durch das Brandenburger Tor gelaufen wurde. Damals von West nach Ost, heute noch beeindruckender von Ost nach West.
Die seitdem zusammengeführte und aufstrebende Hauptstadt wurde und ist Mittelpunkt des Deutschen Geschehens, das in der Welt Beachtung findet. Und wenn jetzt, wie seit mehreren Jahren, die Königsdisziplin der Leichtathletik, die zudem auf der Straße stattfindet und für jede(r)mann/-frau aus aller Welt zugänglich ist, dann ist das ein Beleg für Weltoffenheit, Liberalität und Gleichheit unter allen Menschen. Wer so gepolt ist, findet Freunde aus aller Welt.
Und in der Tat, der Marathon und somit auch der körperlose Kampf gegen andere verbindet Millionen. Dabei ist es kein Zuckerschlecken eine solche Herausforderung anzugehen. Wer durchhält und schließlich den Zielstrich überquert, hat die Belohnung für die erbrachte Leistung in Form einer Medaille wohl verdient. Dass es in dieser Sportart selbstverständlich auch um die Auslese, Elite der Weltbesten geht, ist unbestritten und letztlich sind diese das Salz in der Suppe. Natürlich hat die Masse von 45.000 damit nur sekundär zu tun. Das entspricht der Anzahl einer mittleren Stadt, die eine solche Zahl als Einwohner aufweist. Und jetzt umgesetzt auf Marathon ist das eine gewaltige Menge an Leistungs- und Willensvermögen, derer, die eine derartige Herausforderung meistern. Das zur Einstimmung und Erinnerung vorweg.
Speziell für uns Läuferinnen und Läufer versuche ich, meine eigene Stimmung und die eigenen Gefühle vom Lauf in dieser Kolumne wiederzugeben. Fast jedes Ereignis mit Ausmaßen wie die des Berlin-Marathons, wo die gesamte Stadt förmlich vereinnahmt wird, hat eine Vorgeschichte. So auch hier. Die Organisation. Sie ist hervorragend gelöst und doch gibt es Erfahrungswerte, die den Veranstalter zur Erkenntnis weiterer Verbesserung bringen werden. Da bin ich mir sicher, ohne ins Detail zu gehen. Beispielsweise nur bei der Marathon -Messe, die an drei Tagen ein Spektakel offeriert, das an Geschäftigkeit kaum zu überbieten
ist. Wer mit dem Kommerz nichts weiter am Hut hat, sollte schleunigst das Weite suchen, wenn das Procedere mit der Startnummernausgabe erledigt ist.
Wie in anderen großen Städten gibt es einen Frühstückslauf am Tag vor dem Marathon. Eine Geste des Veranstalters und der Stadt an seine auswärtigen Gäste. Einheimische können zwar ebenfalls unentgeltlich teilnehmen, aber ich selbst habe bisher in 40 Jahren nur einmal daran Anteil gehabt, nur um das kennenzulernen.
Dann, jetzt endlich, zum Lauf. Das unmittelbare Vorher war eigentlich furchtbar. Diese Massen, fast beängstigend, ausgelöst durch die verminderten Eintritts-Öffnungen (von Toren keine Spur) und strikten Kontrollanweisungen (Zulassungsbändchen am Arm, Startnummer, Gepäckbeutelbesichtigung, aber immerhin keine Fingerabdrücke und Leibesvisitationen und das Weglassen von Überwachungskameras und Forderung von Identifikationsnachweisen erinnerte mich nicht an chinesische Maßnahmen bei meinem Xinjiang-Besuch). Einzig die Lösung der Gepäckaufbewahrung mittels kleiner persönlicher Beutel ist ausgezeichnet geregelt. Und auch die ehemaligen Staus vor den notwendigen Pinkelbuden sind geringer geworden, seit der zahlreichen Aufstellung von aus London abgeguckten, für Männer geeigneten, Stehpissoire, die nicht einmal abgeschottet waren. Es verlief gesittet und Scham kam offensichtlich nicht auf.
Das nächste (leichte) Drama war der Einlass in die Startblöcke. Wieder gab es zu wenig Eingänge und die Kontroleur: innen waren schlicht überfordert. Kein Wunder, wenn sportliche Menschen vor einem Sport-Event sportliche Entscheidungen suchen: Sie kletterten einfach über die Absperrgitter. War man erst einmal drin im „Ferch“, dann war alles gelöst, weil die Schallwellen der UMPA-UMPA-UMPA-„Musik“ jegliche Gespräche zu Nichte machten. War ja auch egal, man war bei sich.
Noch 10 Minuten bis zum Start um 09:15 Uhr MEZ. Die Vorstellung der prominenten Starter: innen in den ersten Reihen bekam ich kaum mit, ich sah nur klatschende Leute rings umher und meinte, bald geht es los. Ja, wirklich, das Scharren der Füße begann und das Wegwerfen überflüssiger Kleidung als Spende ist wie ein Ritual. So, alles erledigt, peng, der Startschuss, kaum vernehmbar, war gefallen. Am Startband konnten wir die Monitorübertragung verfolgen und so verging die Wartezeit bis zum eigenen Loslaufen relativ problemlos. Mal sehen, was heute bei der Spitze herauskommt. Berlin ist ein gutes Pflaster, das Wetter ist Spitze, also Streichergebnis für die Meckerei. Los geht’s, neun Minuten nach Eliud Kipchoge.
Ja, nun war ich - allein unter 45.000!! Und jetzt hieß es laufen, laufen, laufen und zwar wie alle, die sich diesem Metier verpflichtet sahen. Dass manche darin keinerlei Pflicht sehen, ist verständlich, aber überzogener Ulk, eine Kostümierung die den Marathon quasi lächerlich macht und dadurch auch viele Wackere mit einbezieht und Veralberung jeglicher Art, finde ich (Pardon) an der falschen Stelle platziert. Fast „Wie kann ein Mensch so dämlich sein, sich ernsthaft einer solchen Tortur anzuschließen?“ Wobei es mir völlig egal ist, wie sich das Volk gebärdet, Hauptsache ist, dass niemand gefährdet ist oder beleidigt wird. Sonst wäre auch der Spaß fürs Publikum vorbei.
Ja, die Zuschauer! Großartig. Eine so große fantastische Kulisse haben wir bisher noch nicht erlebt. Es war unbeschreiblich. Ich glaube jede(r) von uns, wird es genossen haben, wenn Zurufe mit Namensnennung und „Du schaffst es“ kamen. Ein freundliches Zurücklächeln, Daumen hoch oder Danke war das Mindeste. Es hob die Stimmung, drückte eine gewisse Verbundenheit aus und - war einfach toll. Wäre das nicht gewesen, ich weiß nicht. Jedenfalls waren meine „Körner“ ab km 22 verbraucht, zudem hatte ich eine schmerzhafte Fußsohlenentzündung. Zugegeben, es war ein Graus, zugleich der Ruck in einem selbst „Du musst, nein, Du willst, unbedingt ankommen“. Eigentlich wusste ich das schon vorher, dass es so kommen würde. Also verschlug ich mich aufs „Kampfwandern“, in dem ich bereits geübt bin. Trotz Hinkefuß und ziemlich ausholendem Schritt kam ich langsam/schnell vorwärts. Als bei km 18, 24, 27, 29, 33, 36 für mich sehr persönliche Aufmunterungen erfolgten, war klar, das stehst du durch. Und so war es.
Als das Brandenburger Tor sichtbar wurde, begann ich, ohne es zu merken, wieder zu traben, die letzten 300 m, ich schwebte wie auf Wolken (war ich in Trance?) dem sichtbaren Ziel entgegen. Nur die nüchternen Zeitname-Gummiplatten nahmen mich in Empfang. Wenig später kam die „Verleihung“ der Medaille.
Ein Riesending am Nationalbandel hängend, groß, dick, schwer und mit Relief und namentlicher Nennung vom alten und neuen Weltrekord-Inhaber Eluid Kipchoge. Merken: Am 25. September 2022 ist der alte Weltrekord von 2:01:38 von ihm selbst auf 2:01:09 verbessert worden. Es ist mir schleierhaft, wie ein Mensch so schnell und ohne Motor oder Flügel laufen kann.
Erfahren habe ich das erst bei meinem Zieleinlauf nach 5: 57:13. Es war mein 38. Berliner und zugleich insgesamt für mich der 72. Marathon in 40 Laufjahren (1982 gab ich mein Debüt). Die 19 streichen wir und ihr habt mein Alter. Wie kann man nur?
Egal, ich bin froh über Platz 5 in meiner Altersklasse, bei denen nur 12 ankamen. Und vorbei ist stets vorbei, obwohl Zitat Goethe, „Das Wort vorbei ein dummes Wort“ ist. Irgendwie hatte er Recht. Aber wann ist ein Marathon am allerschönsten? Ohne Zweifel. Wenn er vorbei ist! Hier müsste selbst der große Dichter ein Einsehen haben.
Horst
Fakten: Frauen: Siegerin Tigist Assefa, Äthiopien, 2:15:37 Sieger:innen bei LT Bernd Hübner : 30!!!
1. Kerstin Ludwig 3:40: 51
2.Steffi Baumgart 3:46:22
3.Verena Harsdorf 3:46:47
1. Jens Rickert 3:25:01
2. Jochen Hensel 3:52:05
3. Stefan Schalk 4:01:18
Wilfried Köhnke in seinem 46. Berliner Marathon 4:21:33, das ist super! Er ist der Teilnahme-Spitzenreiter
Helmut Pflaum (M 80) bei seinem 42. (oder 43.?) Berlin-M. 6:27:14 (9 Platz)
Hans Weippert (M 75) 6:20:37, Dirk Bogert (M 75) 6:40: 49