Von Berlin nach Kopenhagen radeln...
...das machen jährlich einige Tausend Urlauber, so schwer kann es also gar nicht sein.
Eine Splitterfraktion des Lauftreffs hatte sich auch vorgenommen, den Radfernweg abzuradeln. Ich wäre zwar gerne mitgekommen, hatte aber andere Verpflichtungen. Aber vielleicht könnte ich ja nachkommen. Torsten hatte mal lapidar behauptet ich könnte die Strecke auch an einem Tag schaffen. Welchen Ehrgeiz er damit geweckt hatte, konnte ja keiner ahnen.
Wie weit ist es denn bis Kopenhagen? Wenn man dem offiziellen Radfernweg folgt, sind es über 600km. Dieser nimmt aber auch jedes noch so kleine Ausflugsziel links und rechts mit. Eine erste grobe Abschätzung eines direkteren Weges mithilfe von Googlemaps spuckte mir ziemlich genau 400km aus.
Letztes Jahr bin ich 315km an einem halben Tag gefahren. So schwer kann es schon nicht werden, während der zweiten Tageshälfte nochmal 90km zu reißen.
Damit war es beschlossen - ich werde probieren an einem Tag von Berlin nach Kopenhagen zu radeln.
Zur genauen Streckenfindung bis Rostock griff ich auf drei bei gpsies.com hinterlegte Strecken zurück, die untereinander annähernd identisch waren.
Vom offiziellen Radfernweg würde ich nicht mehr als 30km mitnehmen und ansonsten nur Landstraße fahren.
Die Splitterfraktion des Lauftreffs würde nach Plan am Pfingstsonntag in Kopenhagen ankommen und Mittwoch wieder zurückfahren. Da ich selbst am Sonntag noch in Thüringen sein würde, käme nur noch der Montag und Dienstag in Betracht, wobei die endgültige Entscheidung vom Wetter abhängig sein würde.
Der Stand von Samstag war folgender:
Montag - Nordostwind mit Böen bis 30km/h. Regen gegen 13Uhr
Dienstag - starker Nordostwind mit Böen bis 60km/h. Trocken
Ja toll! Also auf jeden Fall Gegenwind. Am Dienstag sogar so stark, dass ich wohl gar nicht erst losfahren brauche. Montag dafür mit Regen.
Der Regen sollte am Montag in etwa 2 Stunden durchgezogen sein. Passenderweise war das genau die Zeitspanne, die ich eh auf der Fähre von Rostock nach Gedser verbringen muss. Also wurde die Abfahrtszeit so gewählt, dass ich noch vor dem Regen in Rostock ankommen: Nachts um 2Uhr
Am Sonntag kam ich erst gegen Mitternacht aus Thüringen zurück. Zwei Stunden Schlaf müssen wohl reichen.
Während ich probierte einzuschlafen, gingen mir noch einige Gedanken durch den Kopf, unter anderem „Deine letzte Wettervorhersage ist schon 2 Tage alt. Wie geht es eigentlich deinem Regenwölkchen vor Rostock?“
Das sollte bereits schon zwei Stunden früher eintreffen! Ach Mist!
„Dann wird halt nicht geschlafen, sondern jetzt schon losgefahren.“
Und so schwang ich mich um 0:30 Uhr auf mein Rad und verschwand in der Nacht.
Nach 1,5 Stunden machten sich dann gleich zwei Probleme bemerkbar.
1. Es war in der brandenburgischen Wildnis gefühlt 20°C kälter als noch kurz zuvor in Berlin
2. Die Frontlampe signalisierte bereits jetzt einen müden Akku. Dieser war vor Fahrtbeginn voll geladen und sollte bei verminderter Leistung eigentlich 8Std. halten. Ersatzakkus oder eine zweite Lampe hatte ich nicht dabei. Ich befürchtete, plötzlich blind dazustehen.
30 Minuten später meldete sich bereits das erste Mal der innere Schweinehund. Als ich in einer gemütlich warmen Sparkasse versuchte, noch die Reisekasse aufzufüllen, war dieser der Meinung ich könnte doch hier ein kleines Nickerchen machen und 2 Stunden später weiterfahren wenn es draußen wieder wärmer und heller ist und ich wenigstens ein bisschen geschlafen habe.
Auch wenn das nur zu verlockend klang, so erinnerte ich mich doch daran, dass es ja durchaus einen Grund hatte, warum ich so früh losfuhr. Vor Rostock voll in den Regenfront reinfahren wollte ich echt nicht.
Kaum war der Schweinehund besiegt, tauchte das nächste große Problem auf – ich war in dieser Nacht nicht allein unterwegs.
Gemeint sind damit nicht etwa Axtmörder oder andere Verkehrsteilnehmer, denen bin ich in ganz Brandenburg gar nicht begegnet, sondern tierische Wald- und Feldbewohner. Als das erste Mal ein Marder über die Straße flitzte, fand ich es ja noch ganz drollig. Auch das erste Reh mitten auf der Fahrbahn war ein schöner Anblick...an dem ich mich aber bald sattsehen würde.
Ich habe ziemlich schnell aufgehört zu Zählen, wie viele Rehe auf oder neben der Straße standen, bevor sie dann Kreuz und quer vor mir flüchteten und mir teilweise gefährlich nahe kamen. Es müssen hunderte gewesen sein. Es verging auch keine Minute ohne Wildwechsel oder zumindest funkelnde Augen in der Dunkelheit.
Das eigentliche Dilemma: Die Lampe hatte zwar noch einen wesentlich helleren Modus, mit dem die Nacht zum Tag gemacht wird, jedoch würde dies den Akku, der eh schon auf dem letzten Loch pfiff, noch schneller leer ziehen.
Doch was könnte schlimmer sein, als all die Monster die man sieht?
Na ganz klar - die, die man nicht sieht!
Da ich selbst auf dem Rad beinahe lautlos unterwegs bin, konnte ich umso besser hören, was meinen Augen entging. Eigentlich wurde ich permanent von einem furchteinflößenden Rascheln und Trampeln am Straßenrand begleitet.
Ich habe in meinem relativ jungen Leben ja schon einige gefährliche Sachen auf den Rad abgezogen
1. Mountainbiken auf einem slowenischen Bergkamm – keinen Meter breit mit 1000m Abhängen auf beiden Seiten
2. In Österreich mal gucken, ob der Fahrradcomputer am Renner auch dreistellig geht
3. regelmäßig Straßen mit Berliner Taxifahrern teilen
Jedoch hatte ich selten so einen Schiss davor, unfreiwillig vom Rad abzusteigen, wie in dieser Nacht. Eine Stunde lang waren meine Nerven zum Zerreißen gespannt.
Tief in der Nacht zu Fahrradtouren aufbrechen werde ich in Zukunft jedenfalls ganz sicher nicht mehr!
Nach 85km stand dann in Rheinsberg die erste Pause an, die ich nutzen wollte um die Nerven zu beruhigen und einen Happen zu essen. Die meiste Zeit verlor ich jedoch bei dem Versuch vom Handy für die kleine Schnitzeljagd ein Bild ins Forum zu stellen.
Als ich wieder losfuhr war es 4Uhr und der Himmel wurde langsam „schwarz zu blau“. Zumindest die Sorge plötzlich blind unterwegs zu sein, hatte ich nun nicht mehr.
Wildbegegnungen kamen nun auch nur noch selten vor. Ein persönliches Highlight waren zwei Waschbären, da ich die in Deutschland in freier Wildbahn bisher noch nicht gesehen habe.
Kaum in Mecklenburg angekommen, begegnete ich den einzigen Streckenabschnitt, den ich nicht nochmal fahren würde. Hinter Fleeth hatte man für 500m die Wahl zwischen Kopfsteinpflaster mit Fugen, die groß genug waren, dass ein ganzer Smart darin verschwindet, oder dem geschotterten Randstreifen, der wellig und löchrig genug war um dort auch ein Mountainbike artgerecht bewegen zu können. Die 3km danach waren auch ein übelster Flickenteppich. Um zu demonstrieren, dass auch ein Rennrad nicht aus Zucker ist, war die Piste super, zum Radfahren allerdings nicht.
Falls irgendjemand zufällig über Google auf diesen Bericht stößt weil er selbst von Berlin nach Rostock oder Kopenhagen radeln will, würde ich vorschlagen, die Alternativroute über Diemitz und Schwarz nach Mirow auszuprobieren.
An der Müritz angekommen, fing ich an zu grübeln.
Wie weit ist es doch gleich nochmal bis Rostock? Wann würde ich dort ankommen? Würde ich sogar eine Fähre eher nehmen können?
180km auf dem Tacho – Die Beine wurden langsam müde und ein langer Anstieg brachte mich auf die Idee, dass genau jetzt der richtige Zeitpunkt für die zweite Essenspause sei.
200km, ich erreichte Güstrow und zum ersten Mal wurde mir der starke Gegenwind bewusst. Ein paar vereinzelte Regentropfen kriegte ich auch ab. Obwohl die Oberschenkel schon deutlicher schwerer geworden sind, gab ich dem Gaul jetzt nochmal richtig die Sporen. Ich wollte unbedingt noch trocken in Rostock ankommen. Und eine Fähre eher als geplant schien auch in greifbarer Nähe zu sein, obwohl ich mir nicht ganz sicher war wie weit es jetzt überhaupt noch bis Rostock war – zumal der Überseehafen selbst ja dann nochmal eine ganze Ecke weiter weg ist.
Ziemlich verbissen kam ich dann gegen 10:15Uhr sogar eine halbe Stunde vor Terminalschließung an. Eine Umbuchung meines Tickets war kein Problem.
Deutsche Etappe:
257km
9:45 h Reisezeit
8:40 h Fahrzeit
29,7 km/h Nettoschnitt
Die freie Zeit nutzte ich unter anderem um mich den kulinarischen Spezialitäten des Rostocker Hafens zu widmen – in diesem Fall Backfisch...aus der Mikrowelle.
Ich muss mich wohl damit abfinden, dass man mir immer komische Sachen auftischt, wenn ich meinen Streckenrekord in Angriff nehme. Beim letzten Mal gabs ja schonmal irgendwas komisches was man in Eberswalde als Döner bezeichnet.
Als ich sah, wie die „Prins Joachim“ in den Hafen einlief, kamen mir kurze Zweifel. Noch könnte ich umdrehen und mit der Bahn zurückfahren. Andererseits war das schwerste jetzt wohl schon hinter mir. Auf dänischer Seite warteten ja eh „nur noch“ läppische 150km auf mich.
Auf der Fähre schlafen konnte ich nicht. Dafür war ich einfach zu aufgedreht.
Der Plan bezüglich der Regenfront ging auf - diese zog durch, als ich gemütlich auf der Fähre saß.
Um 13:15Uhr senkte sich in Gedser die Laderampe und der wohl gefürchtetste Moment stand an: Wie gut würde ich nach 3 Stunden Pause wieder anfahren können? Hatte ich mir eventuell doch schon bis Rostock die Beine zerschossen?
Die Antwort während des ersten dänischen Kilometer: Alles bestens!
Naja, fast alles bestens. Der Gegenwind war hier nochmal eine Nummer heftiger als noch in Deutschland.
Fahrbahnbegleitende Radwege sind in Dänemark außerorts oftmals nur durch Schotter von der Fahrbahn getrennt, was wunderbar dazu führt, dass diese besonders an Einfahrten großzügiger mit scharfkantigen Split übersät sind als Berliner Gehwege im Winter.
Ich dachte mir noch dass es ein Wunder wäre, wenn ich mit Berliner Luft in den Reifen bis Kopenhagen kommen würde. Dass ich dort überhaupt ankommen würde, wäre aber auch schon ein Wunder an sich.
Zwei Wunder an einem Tag waren wohl Zuviel verlangt und so durfte ich bei km 290 einen Schlauch wechseln. Im zweiten Reifen steckten auch schon zwei Steinchen, die es schon unters Gummi aber noch nicht durch die Reifenkarkasse geschafft haben. Wer weiß wie oft ich an diesem Tag wohl noch Reifenwechsel üben darf.
Das schlimmste an der Sache: die restlichen ~120km werde ich mit erhöhtem Rollwiderstand fahren müssen, da ich unmöglich den optimalen Druck mit einer kleinen Handpumpe in den Reifen kriege.
Ab hier war der Spaß jedenfalls vorbei und das große Elend begann.
Die Panne demoralisierte, der starke Gegenwind zerrte an Lenker und Nerven, die Beine wollten nicht mehr und ich fiel in ein Formtief.
Dass es einfach werden würde, hatte vorher ja auch niemand behauptet.
Bei km 300 gabs nochmal eine kleine Aufmunterung als ich die 3,2km lange Storstrømsbroen querte und mir der wohlige Duft der Seeluft in die Nase stieg. Er erinnerte mich daran, dass ich eben nicht mehr im vertrauten Brandenburg rumgondel, sondern bisher schon verdammt weit gekommen bin.
Die nächsten 40km waren allerdings nur noch großes Elend. Zum starken Gegenwind gesellte sich dann noch die Erkenntnis, dass Dänemark nicht ganz so flach ist, wie ich es erwartet habe, sondern sich hier gefühlt ein Teufelsberg an den nächsten reiht. Jeder kleine Anstieg ließ mich beinahe auf der Stelle stehen. In Deutschland hätte ich in diesem Zustand wohl den nächsten Bahnhof angesteuert.
Das deutsche Empfangskomitee in Kopenhagen wurde jedenfalls um eine Stunde nach hinten bestellt.
Der Abschnitt von km 340 bis 370 war dann ein kleines Wunder. Mir stemmte sich zwar immer noch starker Wind entgegen, dafür flachte die Hügellandschaft ab und ich konnte wieder rund treten. Meine Stimmung wurde deutlich besser und das Tempo konnte sich auch wieder sehen lassen. Das Formtief war überwunden und ich konnte mich wieder an der Tour erfreuen.
Laut meinem GPS-Log wurden diese 30km in 1:00:12 durchgeprügelt.
Der letzte Abschnitt ab Køge durch Ballungsgebiete hat sich dann nochmal richtig gezogen. Kopenhagen müsste ja gleich kommen - ungefähr so wie Potsdam gleich kommen müsste, wenn ich grade von Bernau kommend Berlin betreten habe.
Was solls – ich war wieder super drauf und praktisch schon auf einer 40km langen Zielgerade.
Auch wenn ich selbst unterwegs kaum Fotos gemacht habe, so wurde doch wenigstens meine Ankunft bestens festgehalten.
Dänische Etappe:
156km
6:35 h Reisezeit
5:40 h Fahrzeit
27,5 km/h Schnitt
Gesamt:
413km
19:20 h Reisezeit (davon 3:15h für Fähre und Reifenwechsel)
14:20 h Fahrzeit
14718 kcal verbraten
Hier gibts es die Trainingsaufzeichung mit genauer Strecke: Polar
Dass danach nochmal 10km bis zum Hostel geradelt wurden, ist fast schon Nebensache.
Am nächsten Tag wurde dann Kopenhagen erkundet – natürlich auf dem Rad. Die Beine waren zwar müde, einen brennenden Muskelkater hatte ich allerdings nicht. Meine Hände machten da schon eher Probleme, schmerzfrei den Lenker greifen ging nur bedingt.
Am Tag 2 nach der Hinfahrt stand bereits die Rückfahrt zusammen mit den restlichen Dänemarkurlaubern an. Wir nahmen die Bahn von Kopenhagen nach Nykøbing, radelten ab dort nach Gedser, setzten wieder nach Rostock über und radelten vom Fährterminal zum Rostocker Bahnhof.
Eh ich endgültig wieder zu Hause war, kamen an diesem Tag nochmal 50km zusammen.