Aus Steglitz-Zehlendorf berichtet
Boris Buchholz für Sie
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Boris Buchholz ist in Wilmersdorf und Lankwitz aufgewachsen. Der Tagesspiegel-Redakteur lebt in Zehlendorf – die lokale und globale Politik interessiert ihn, seitdem er in der Fichtenberg-Oberschule die Schulbank drückte. Wenn Sie Anregungen, Kritik, Wünsche, Tipps haben, schreiben Sie ihm bitte eine E-Mail an boris.buchholz@tagesspiegel.de
Bürger:innen aufgepasst: Das Planfeststellungsverfahren für den Umbau des S-Bahnhofs Zehlendorf hat begonnen. Es war eine Zeitungsanzeige am vergangenen Freitag: Im Auftrag des Eisenbahn-Bundesamts wies der Senat darauf hin, dass die Pläne für den Umbau des S-Bahnhofes Zehlendorf bis 5. April öffentlich ausliegen. Es ist kein kleines Unterfangen, das detailliert vorgestellt wird und zu dem Einwendungen erbeten werden – zwischen 2026 und 2030 wird der Bahnhof, den täglich 19.000 Menschen nutzen, zur Großbaustelle.
Um was es geht: Am 1. September 2010 war ein Lastwagen gegen die S-Bahnbrücke am Teltower Damm geprallt, die Brücke wurde schwer beschädigt. Schnell hängte die Bahn zwei neue Behelfsbrücken ein; doch seitdem müssen die Züge im Schneckentempo die Brücken passieren. Im Rahmen der Planungen für den Einbau einer neuen Brücke stellte sich zweierlei heraus: Sowohl die Bestandsbauten des Bahnhofs, vom Personentunnel über die Ladenräume bis hin zum Radtunnel, als auch die Widerlager der Brückenkonstruktion erhielten die Zustandsnote 4: „Gravierende Schäden“. Im Erläuterungsbericht der Bahn zum Bauvorhaben schreibt die DB Netz AG: „Die Nutzungsdauer sämtlicher Bauwerke ist überschritten.“ Zum anderen wünschten sich Bahn und Senat einen weiteren Zugang zu den Gleisen.
Deshalb wird das Vorhaben so groß: Um die neuen Brücken installieren zu können, müssen die gesamten Bauteile des ältesten Bahnhofs Berlins (eröffnet 1838) abgerissen, neu gebaut oder saniert werden. Der heutige Zugang zur denkmalgeschützten Station sowie das östliche Widerlager der Brücken wird einmal grunderneuert:
Der Personentunnel wird auf eine Breite von durchgehend sechs Meter erweitert (bisher minimal 4,87 Meter).
Der Radtunnel entsteht wieder so, wie er heute ist.
Die Verkaufsräume am Personentunnel wird es nach den Bauarbeiten nicht mehr geben. Aus Bahnsicht sind sie verzichtbar, sie werden aufgefüllt. Neue Verkaufspavillons sind auf dem Bahnsteig geplant.
Die Brücken für die nicht genutzten Fernbahngleise werden zurückgebaut. Allerdings: Während der jahrelangen Bauarbeiten bekommt das Gleis 1 entlang der Machnower Straße eine besondere Bedeutung – hier wird die S-Bahn rollen.
Auf der anderen Seite des Teltower Damms wird nicht minder heftig gewerkelt. Denn die Mauer am heutigen Gehweg, das Widerlager West, wird etwa 4,70 Meter in Richtung Wannsee verschoben. Wobei verschieben das falsche Wort ist: Das alte Bauwerk wird abgerissen, ein neues entsteht. Hier ist der vom Senat gewünschte weitere Zugang zum Bahnsteig geplant: Eine neue Treppe wird hier später vom Gehweg nach oben führen. Damit Fußgängerinnen und Fußgänger nicht mit Radfahrerinnen und Radfahrern in Konflikt geraten, wird der Gehweg auf vier Meter und der Radweg auf zwei Meter verbreitert, dazwischen befindet sich noch ein Sicherheitsraum – bisher sind Rad- und Gehweg zusammen 3,20 Meter breit.
Um was es nicht geht: Weder ist der von vielen Bürgerinnen und Bürgern und der Bezirkspolitik gewünschte Zugang zu den Gleisen vom Postplatz und von der Machnower Straße aus Teil der Planungen. Noch wird die Vorbereitung des Bahnhofs für Regionalzüge, die über die Stammbahn über Zehlendorf und Steglitz zum Potsdamer Platz rollen, konkret berücksichtigt. Es werden lediglich Platzhalter mitgedacht: Der neue Bahnhof Zehlendorf soll auf Zuwachs ausgelegt sein.
Was das bedeutet: Vor allem viel Baustelle und viele Unannehmlichkeiten. Denn dadurch, dass der gewünschte östliche neue Zugang von Postplatz und Machnower Straße aus, nicht vor der Brückenbaußnahme realisiert wird, heißt das für die Fahrgäste, Anwohner:innen und Pendler:innen jahrelange Umwege.
Je nachdem, was gerade gebaut wird, sind entweder der Fuß- und Radtunnel auf der westlichen Seite des Teltower Damms oder der östliche Geh- und Radweg gesperrt.
Weil der Zugang zu den Gleisen und die Brücken neu gebaut werden müssen, sind die S-Bahngleise für Jahre nicht nutzbar. Deshalb baut die Bahn neue Weichen ein und lenkt die S-Bahnzüge auf das bisher ungenutzte Fernbahngleis 1. Auch am Mexikoplatz wird ein Weichentrapez installiert, damit dort die Züge wieder in die gewohnten zwei Gleisen wechseln können.
Für den S-Bahnverkehr auf dem Fernbahngleis werden sowohl eine neue Brücke als auch ein neuer Bahnsteig installiert.
Der Zugang zum provisorischen S-Bahnsteig wird in der Machnower Straße fast an der Ecke zum Teltower Damm gebaut. Für alle, die nördlich des S-Bahnhofs leben und arbeiten, zur Schule gehen oder einen Bus erwischen müssen, werden die Wege weiter (vor allem in den Phasen, wenn der Weg unter der Brücke gesperrt ist und man durch den Fußgängertunnel muss).
Auto- und Busfahrende, aufgemerkt! Streichen Sie sich folgende Monate rot im Dauerkalender an:
Februar bis Mai 2027
Mai 2028
Oktober 2028 bis Januar 2029
Januar bis Februar 2030
Dann ist der Teltower Damm voll gesperrt. Die bisherigen Ideen für die Umleitung sehen vor, dass der Verkehr über die Mühlen- und Seehofstraße zur Berliner Straße geführt wird. Alternativ könnte auch die Sundgauer Straße zur Ausweichroute werden. Ist der Teltower Damm an der Bahnbrücke unpassierbar, dann werden sicher auch der Dahlemer Weg und die Ludwigsfelder Straße stärker befahren werden. Auch in den kleinen Seitenstraßen wird man im Stau stehen.
Hineinschnuppern lohnt. Auch über den Zulieferverkehr für die verschiedenen Bauabschnitte, über zu fällende Bäume und Ausgleichsmaßnahmen ist einiges in den Unterlagen zum Planfeststellungsverfahren zu finden. Die Lektüre lohnt; bis zum 5. April liegen die Pläne und Zeichnungen aus, bis zum 19. April sind Einwendungen an das Eisenbahn-Bundesamt möglich. Aber: Eine einfache E-Mail reicht nicht aus, die Hinweise aus der Bevölkerung müssen in Schriftform eingereicht werden.
Ich mache mal den Einwendungs-Anfang – allerdings geht diese Kritik an die Stadtpolitik: Warum weder das Bezirksamt noch die Senatsverwaltung für Stadtplanung auf die Bürgerbeteiligung zum Mammutprojekt im Zentrum von Zehlendorf-Mitte hinweist, erschließt sich mir nicht. Weder gab es Pressemitteilungen dazu, noch wird auf den Websites von Bezirk und Stadt auf das Verfahren hingewiesen.
Präsenz: Die Planunterlagen liegen in Papierform im Stadtentwicklungsamt des Bezirksamts Steglitz-Zehlendorf aus: Kirchstraße 1/3, Raum E 301. Öffnungszeiten: Montags bis donnerstags von 10 bis 17 Uhr, freitags von 10 bis 14 Uhr.
Online: Auf der Website des Eisenbahn-Bundesamts können die Dokumente heruntergeladen werden. Mein Tipp: Lesen Sie den Erläuterungsbericht; um sich das Ganze besser vorstellen zu können, ist der Lageplan hilfreich.
Wenn Sie einen Fehler entdecken oder etwas zu meckern oder zu loben haben: Einwendungen sind bis zum 19. April an das Eisenbahn-Bundesamt (Außenstelle Berlin, Steglitzer Damm 117, 12169 Berlin, Telefax: 77007-101) möglich.
Die Pläne zum Bahnhofsumbau: Reaktionen aus dem Bezirk. Die aktuell bei der öffentlichen Auslegung im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens des Eisenbahn-Bundesamts ausgelegten konkreten Planungen für den Um- und Neubau von Teilen des S-Bahnhofs Zehlendorf stoßen im Bezirk auf zum Teil heftige Kritik.
Vollchaos. „Einerseits gut, dass es jetzt die lange gesuchte Klarheit über die Planfeststellungsabsichten von Eisenbahn-Bundesamt und Deutsche Bahn AG gibt“, sagt Reinhard Crome von der Bürgerinitiative Zehlendorf auf Nachfrage des Tagesspiegels. „Andererseits ist klar, dass wir die so ablehnen, weil sie zu Vollchaos und Vollsperrungen in Zehlendorf-Mitte führen.“ Der Hauptkritikpunkt: „Bürgerschaft, Geschäftsleute und Parteien kämpfen seit langem einstimmig für den barrierefreien ‚zweiten Zugang EÜ Postplatz‘ von Martin-Buber-Straße und Machnower Straße aus und für seine Fertigstellung bis 2025/2026!“ Dieser Zugang zu den Gleisen müsse unbedingt fertig sein, bevor die Bauarbeiten am Teltower Damm beginnen, nur so könne „ein leichter, barrierefreier, leistungsfähiger Fahrgastzu- und -abgang gewährleistet werden“. Die Prognose der BI zu den Planungen der Bahn: „Der Zehlendorfer Binnenverkehr wird schwer gestört werden.“
Lange Leidenschaftslosigkeit des Bezirksamts. Dem Anliegen, dem Zugang von Postplatz und Machnower Straße unbedingt Priorität einzuräumen, hatte die BI in einem Schreiben an Verkehrsstadtrat Urban Aykal (Grüne) Mitte Februar noch einmal Nachdruck verliehen; das Schreiben liegt dem Tagesspiegel vor. Reinhard Crome erinnerte darin daran, dass die Diskussion um den Bahnhof schon seit einem bald einem Jahrzehnt geführt werde. „Berlin wird doch wohl ‚kurzfristig‘ (seit 2014) circa 57 Meter DB-Bahn-Unterführung hinbekommen, wo die Schweizer kosten- und fristgerecht circa 57 Kilometer SBB-Doppelröhre Gotthardbasistunnel durch die Alpen realisiert haben“, heißt es in dem Papier. Zugleich erinnert die Bürgerinitiative daran, bereits 2014 exakt 2056 Unterschriften von Bürgerinnen und Bürgern, die den Postplatz-Zugang forderten, an das Bezirksamt übergeben zu haben. Dem Bezirksamt wirft die BI jahrelange Leidenschaftslosigkeit vor. „Erst in dieser Legislaturperiode artikuliert das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf seine konkreten Vorstellungen und Forderungen zu den zweiten Zugängen gegenüber Senat und DB.“
Zu wenig Vorsorge für die Stammbahn. Während die BI Zehlendorf den bisher nicht berücksichtigten Zugang am westlichen Ende des Bahnsteigs kritisiert, sieht Jens Klocksin von der Bürgerinitiative Stammbahn einen anderen Planungsfehler: „Nicht gut ist, dass die Planungen ganz offensichtlich ohne Vorsorge für die Stammbahn erfolgen.“ Zwar werden die Länder Berlin und Brandenburg 26 Millionen Euro für die Vorplanungen zur Reaktivierung der alten Trasse ausgeben, davon sei in den Bahnhofsplänen aber nichts zu bemerken.
Im Gegenteil: „Nach den Planunterlagen werden aber zunächst beide Fernbahngleise und -brücken und der komplette Fernbahnsteig abgerissen“, teilt der BI-Sprecher dem Tagesspiegel mit. „Dann soll ein provisorisches Gleis über eine provisorische Eisenbahn-Brücke geführt werden.“ Später müssten diese Provisorien wieder abgerissen und zwei neue Gleise auf zwei neuen Brücken gelegt werden. Das werde teuer und mache keinen Sinn. „Unser Fazit: Eine Umplanung ist unumgänglich“, so Jens Klocksin. „Es muss jetzt Vorsorge für zwei Gleise und zwei Brücken getroffen werden, und deren Lage muss einen Bahnsteig mit Zugang möglich machen.“ Er empfiehlt, viele Einwendungen „gegen diese veraltete Planung, die die aktuellen politischen Entscheidungen nicht berücksichtigt“, einzubringen.
Auch im Bezirksamt wurde auf die Auslegung der Pläne reagiert. Auf Nachfrage des Tagesspiegels teilte Verkehrsstadtrat Aykal mit, dass sein Straßen- und Grünflächenamt an einer Stellungnahme an das Eisenbahn-Bundesamt arbeite. „Aus unserer Sicht ist der Zugang vom Postplatz aus wichtiger als ein zweiter Aufgang am Teltower Damm“, sagt er am Telefon. „Es ist zielführend, dass der Zugang Postplatz prioritär gebaut wird“, so Urban Aykal. Im vergangenen Jahr sei das auch Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) mitgeteilt worden.
Stadtentwicklungsstadtrat Michael Karnetzki (SPD) erreichte der Tagesspiegel an seinem zweiten Arbeitstag nach längerer Krankheit. Er sei noch nicht dazu gekommen, die Planfeststellungsunterlagen zu sichten. So viel aber vorab: „Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass das Bezirksamt bei seiner bisherigen Haltung bleiben wird: Befürwortung des Ausgangs am Postplatz, Ablehnung des Ausgangs unter der S-Bahnbrücke, weil gefährlich.“ Warum es keine Pressemitteilung des Bezirksamts zur öffentlichen Auslegung gebe und auch auf der Website des Bezirks kein Hinweis zu finden ist, erklärt er damit, dass auf Berliner Seite die Senatsverwaltung für das Verfahren zuständig sei. „Ich werde Ihre Anregung aber gerne prüfen lassen.“
Aus der Bezirksverordnetenversammlung gibt es zum Bahnhofsumbau eine klare Position: Im September 2022 beschloss das Lokalparlament, „dass vor der Sanierung der Brücke über den Teltower Damm und zur barrierefreien Erschließung des Regionalbahnsteigs der Ausgang und Durchgang Postplatz/Machnower Straße für den S-Bahnhof Zehlendorf errichtet wird“. Weiter heißt es im Beschluss: „[Das Bezirksamt] soll sich weiterhin dafür einsetzen, dass für den S-Bahnhof Zehlendorf kein Ausgang unter der Brücke eingebaut wird.“ Grüne, SPD, FDP und Linke hatten diesem Antrag zugestimmt; CDU und AfD stimmten dagegen.
Dass die Bürgerbeteiligung beim Bahnhofsvorhaben begonnen hat, bemerken im Rathaus Zehlendorf auch die Beschäftigten: Das Stadtentwicklungsamt hat dem Eisenbahn-Bundesamt für die Bürger-Einsicht in die Unterlagen einen Raum zur Verfügung gestellt. Jetzt irren manche Interessierte auf der Suche nach Raum E 301 durch den Rathauskomplex und fragen nach dem Weg, berichten Mitarbeitende. Die Antwort lautet: Die Akten und Pläne sind im dritten Stock des Bauteils E zu finden.